Augsburg, 
12.03.2014 ( 
pca 
). Wann immer aggressive Gewalt gegen 
pflegebedürftige alte Menschen publik wird, ist der Aufschrei groß. Entsetzen 
macht sich breit und schnell zeigt man dabei auf die Pflegekraft, die die 
anvertrauten Menschen vernachlässigt, brutal behandelt oder gar getötet hat. 
Gewalt ist demnach in der Pflege kein unbekanntes Thema. Für das Ethikkomitee 
des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e. V. ist es aber zu einfach, nur 
auf die handelnde Pflegekraft und deren Verantwortung hinzuweisen. „Gewalt ist 
ein komplexes Thema. Da gibt es nicht nur physische, sondern auch 
psychologische und verbale Gewalt und diese in vielen Abstufungen. 
Klischeehafte Antworten sind deshalb fehl am Platz.“ Davon ist der 
Diözesan-Caritasdirektor Pfarrer Dr. Andreas  
Magg 
 und 
der Vorsitzende des Ethikkomitees Dr. Ulrich Hörwick überzeugt. Die 3. 
Fachtagung des Ethikkomitees hat sich deshalb mit einem ganztägigen Programm 
aus und Workshops dem Thema gewidmet und gefragt, wie man der Gewalt vorbeugen 
und adäquat entgegnen kann. Über 200 Fachkräfte aus der Alten- und 
Behindertenpflege aus der Caritas und der Diakonie nahmen daran teil.
 
 
Es 
war ein großer Spannungsbogen, den die Tagung zog. Gewalt trete nämlich nicht 
erst dann auf, wenn eine Pflegekraft eine anvertraute Person tötet. Die drei 
Hauptreferenten, der Moraltheologe Prof. Dr. Franz-Josef Bormann, der 
Kriminologe Prof. Dr. Thomas  
Görgen 
 und der 
Psychologe Prof. Dr. Karl H. Beine verwiesen in ihren Vorträgen immer wieder 
auf die strukturellen Rahmenbedingungen, die – neben persönlichen Neigungen von 
Tätern – entscheidend mitverantwortlich für die Möglichkeit von 
Gewaltanwendung. 
 
 
Dazu 
bedarf es, so Prof. Bormann, klarer ethischer Richtlinien. Doch wer heute 
beurteilen will, ob eine Pflege gut ist oder schlecht und damit gewaltbesetzt 
ist, der tue sich aus ethischer Sicht nicht einfach. Pflege stehe nämlich heute 
im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Fürsorge, so der Tübinger Moraltheologe. 
Beide Konzepte allein würden aber nicht weiter helfen. Bormann schlägt deshalb 
eine „Fähigkeiten-Ethik“ als Beurteilungskriterium vor. Dabei geht es die 
kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die ein auch ein alter 
pflegebedürftiger und dementer Mensch wenn auch in abgeschwächter Form habe. 
Diese seien mess- und überprüfbar. Schafft es eine Pflege die kognitiven, 
emotionalen und sozialen Kompetenzen zu erhalten oder gar neu zu stärken, dann 
handele es sich um eine „gute Pflege“. Und daran lasse sich auch messen, ob die 
Pflege dem Menschen in seiner Menschenwürde dient, oder ob sie gewaltbesetzt 
ist. 
 
 
Sensibilität, 
Wachsamkeit und kritische Selbstreflexion nicht nur der Pflegekräfte, sondern 
auch der Vorgesetzten auf allen Ebenen sind deshalb entscheidende 
Voraussetzungen dafür, dass die Pflege nicht in Gewalt abrutsche. Prof.  
Görgen 
 wie auch Prof. Beine griffen diesen Aspekt aus ihren 
Blickwinkeln auf.  
Görgen 
 hatte häusliche 
Pflegesituationen untersucht. Er beobachtete, dass dort in der häuslichen 
Pflege Gewalt entstehe, wo schon vor der Pflegesituation in der 
Familienbeziehung Spannungen bestanden, pflegende Angehörige aufgrund ihrer 
körperlichen Einschränkungen überfordert sind oder jegliches pflegerisches 
Wissen auch über Krankheitssymptome fehlt. „Das gab es aber zum Teil anfänglich 
gar keine Schädigungsabsicht“, so  
Görgen 
. Doch als 
die belastete Pflegesituation eskalierte, wurde auch die Hilflosigkeit des 
pflegebedürftigen Familienangehörigen ausgenutzt. Er plädierte deshalb dafür, 
pflegende Angehörige besser zu unterstützen. „Wir brauchen ein Netzwerk von 
Pflege, Medizin, Gesundheitsversorgung, psychosozialer Einrichtungen und 
Berufsgruppen, auch der Polizei und der Justiz, um Misshandlungen und 
Vernachlässigungen besser vorbeugen zu können“, forderte der Kriminologe. 
 
 
Doch 
auch das scheint nicht auszureichen. Prof. Beine aus Witten-Herdecke löste 
unter den Teilnehmern der Fachtagung Erschütterung aus, als er aus den 
bekannten Fällen von Tötungen in Kranken- und Altenpflegeheimen berichtete. 
Dabei wurden stets über Monate hinweg jeweils mehrere, in manchen 
Verdachtsfällen bis zu 300 Menschen getötet. Auch wenn die Täter immer 
behaupteten, sie hätten sie erlösen wollen, stimme das nicht. In keinem Fall 
wollten die Menschen sterben und sie befanden sich auch nicht im Sterbeprozess. 
Zudem kannten die Täter zumeist ihre Opfer nur ganz kurze Zeit. Doch in allen 
Fällen hätte es gar nicht so weit kommen müssen. Davon ist Prof. Beine 
überzeugt. 
 
 
Seine 
Analyse zeigte, dass es wichtige Alarmzeichen gibt. Wenn eine Pflegekraft zu 
einer anvertrauten Person sage, dass sich die Pflege ohnehin nicht lohne, weil 
sie sowieso bald sterben müsse, liege eine „verrohte Sprache“ vor. Auch konnte 
man feststellen, dass überall dort, wo die pflegebedürftigen Personen getötet 
worden waren, in denen Monaten davor  entsprechende Fehlbestände bei 
Medikamenten um durchschnittlich 25 Prozent überstiegen. Wenn dann noch die 
Arbeitsatmosphäre zu locker ist, zu vieles durchlässt, dann können die Täter 
tatsächlich auch ihre Tat begehen. Was Beine nicht verstehen kann, ist eine 
Abwehrhaltung von Vorgesetzten oder Trägern nach dem Motto, das könne bei uns 
nicht passieren. „Glauben Sie das nie!“, sagte der Prof., der selbst Chefarzt 
am St. Marien-Hospital in Hamm ist. Wenn Mitarbeiter deshalb Verdachtsmomente 
mitteilt, sollten die Verantwortlichen genau hinhören und diese ernst nehmen. 
„Stärken Sie die Zivilcourage ihrer Mitarbeiter“, forderte er deshalb. In 
vielen Tötungsfällen hingegen seien jene, die diese Verdachtsmomente aussprachen 
als „Nestbeschmutzer“ verurteilt und rausgedrängt worden. 
 
 
 
                