Erinnerungen an den Sommer der Migration 2015
Im Sommer und Herbst 2015 zeigte sich die Zivilgesellschaft in Deutschland von ihrer starken Seite. Das freiwillige Engagement trug maßgeblich dazu bei, die Überlastung der Hilfestrukturen auszugleichen. Haupt- und Ehrenamt, staatliche Stellen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Zivilgesellschaft arbeiteten Hand in Hand. Trotz vieler Probleme und Herausforderungen – zum Beispiel die zu lange Unterbringung in Zelten oder Turnhallen, die Anfeindungen gegenüber Schutzsuchenden und Helfer_innen aber auch ungenügende Grenzkontrollen – die Zeit war von einer positiven Aufbruchsstimmung geprägt.
Der Deutsche Caritasverband hat einige Stimmen von Menschen gesammelt, die damals besonders von der Situation betroffen waren – sei es als hauptamtliche Helferin oder ehrenamtlicher Helfer der Caritas, als Mitglied eines Asylhelferkreises oder als Geflüchteter. Sie erzählen von neuen Freundschaften, einer euphorischen Willkommenskultur, aber auch von Ängsten bezüglich des Zusammenlebens in Deutschland und erlebten Anfeindungen. Diese einzelnen Perspektiven und Erinnerungen bilden gemeinsam ein kleines Mosaik dieser besonderen Zeit.
Walid Al Jajiri: „Ich habe damals unglaublich viel Hilfe erfahren”
Walid Al Jarjiri ist im Oktober 2015 aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Er lebt seitdem in Wolfenbüttel in Niedersachsen. Seine Frau ist nachgekommen und ihre beiden kleinen Töchter besuchen mittlerweile den Kindergarten. Das erzählt er alles auf Deutsch - er beherrscht die Sprache perfekt und engagiert sich in seiner neuen Heimatstadt als Dolmetscher. Auf die vergangenen fünf Jahren schaut er mit Stolz zurück. Aber er braucht einen Job, um hier richtig anzukommen.
So war das vor fünf Jahren…
2015 machte sich Walid Al Jajiri auf den Weg nach Deutschland.privat
Vor fünf Jahren bin ich aus dem Irak mit meinem Bruder und meinem Cousin gekommen - es war ein langer, sehr schwieriger Weg. Ich bin Kurde und habe im Irak viel Schlimmes erlebt, dort gibt es nichts mehr für mich. Ich bin nach Bayern gekommen und wurde von dort mit dem Bus hierher nach Wolfenbüttel gebracht. Seitdem bin ich hier. Ich habe damals weder Deutsch noch Englisch gesprochen, aber ich habe von Anfang an beschlossen, dass ich die Sprache lernen muss und will.
Ich habe damals unglaublich viel Hilfe erfahren, sehr schnell Kontakt zu Deutschen gesucht und gefunden. Das hat eine große Rolle beim Erwerb der Sprache gespielt. Ich habe von ganz vorne angefangen: A, B, C, der, die, das, dann Akkusativ, Dativ… Ich habe Sätze auswendig gelernt, mir alles aufgeschrieben. Ich war nie in der Schule gewesen, auch im Irak nicht, konnte nicht lesen und schreiben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass mein Leben damals erst angefangen hat, mit 30 Jahren.
… so ist es jetzt…
Ich habe eine neue Heimat gefunden. Meine Frau und meine Tochter sind nachgekommen, vor drei Jahren wurde unsere zweite Tochter geboren. Ich habe vor einem Monat meinen Führerschein gemacht. Ich bin schon stolz auf mich, vor allem, was die deutsche Sprache betrifft, ich dolmetsche jetzt sogar ehrenamtlich. Ich habe hier unheimlich viel gelernt und ich weiß, hier ist Vieles möglich - meine Töchter können Ärztinnen oder Anwältinnen werden. Mein Traum ist, dass wir irgendwann einen deutschen Pass bekommen.