Generation „always on“ im Blick der Suchthilfe
Wenn das Smartphone im Dauereinsatz ist, wird Beratung nötig.Christiane Stieff
Die digitalen Medien gehören zu unserem Alltag und bieten vielfältige positive Nutzungsmöglichkeiten: Information, Kommunikation und Unterhaltung! Wie selbstverständlich der Umgang geworden ist, zeigen die Zahlen aktueller Studien: So hatten 2015 98 Prozent der zwölf- bis 19-jährigen Jugendlichen in Deutschland ein eigenes Handy (die meisten davon Smartphones) und die durchschnittliche Online-Nutzungszeit der gleichen Altersgruppe ist an einem normalen Wochentag von 131 Minuten im Jahr 2012 auf mittlerweile 208 Minuten pro Tag gestiegen.1 Auch die Erwachsenen nutzen ihr Smartphone circa 2,5 Stunden am Tag und unterbrechen im Schnitt circa alle 18 Minuten ihre aktuelle Tätigkeit, um einen Blick darauf zu werfen.2
Dreijähriges Landesmodellprojekt
Wir haben unsere Smartphones immer griffbereit, aber haben wir sie noch im Griff? Was ist normal und wo fängt ein problematisches Nutzungsverhalten an? Die Fragestellungen im Bereich der Medienabhängigkeit haben sich in den vergangenen Jahren verändert, das zeigen auch unsere Erfahrungen im Osnabrücker "LOG OUT"-Projekt!
Mit "LOG OUT – Unabhängig im Netz" konnten wir Anfang 2014 an eine mehrjährige Erfahrung in den Bereichen Prävention und Beratung bei Medienabhängigkeit des Projektes "Space Limit" anknüpfen. "LOG OUT" ist ein dreijähriges Landesmodellprojekt mit vier Modellstandorten, koordiniert über die Niedersächsische Landesstelle für Suchtfragen, evaluiert über die Universität Hildesheim. Es bietet
- Beratung von Betroffenen und Angehörigen;
- Prävention für Jugendliche, zum Beispiel in Schulklassen;
- Schulung von Multiplikatoren, zum Beispiel Lehrer(innen) und Schulsozialarbeiter(innen).
Zahl der Abhängigen steigt
Im Jahr vor dem Projektbeginn wurden in der PINTA-DIARI-Studie3 die erhobenen Prävalenzzahlen für Deutschland der ersten PINTA-Studie4 weitestgehend bestätigt. Es ist davon auszugehen, dass in Deutschland ein Prozent der 14- bis 64-Jährigen eine Internetabhängigkeit aufweist. Die Zahl steigt mit jüngerem Alter, so dass bei den 14- bis 16-Jährigen bereits vier Prozent betroffen sind. Noch deutlicher wird die Problematik, wenn man die Prävalenzzahlen eines problematischen Internetgebrauchs hinzuzieht, welcher bei den 14- bis 16-Jährigen bei 15,4 Prozent liegt. Somit weist jeder fünfte dieser Altersgruppe einen problematischen, wenn nicht abhängigen Internetgebrauch auf, wobei Mädchen häufiger betroffen sind als Jungen.
Ebenfalls kurz vor Projektbeginn wurde die "Internet Gaming Disorder" als Forschungsdiagnose in das neue DSM-55 aufgenommen und bekräftigte die Einordnung der Störung im Bereich der Abhängigkeitserkrankungen. Die vorgeschlagenen Kriterien beziehen sich jedoch ausschließlich auf das Spielen von Online- und Offline-Computerspielen und beziehen andere abhängige Nutzungsmuster wie die Online-Kommunikation nicht mit ein.
Es fehlen Erkenntnisse
Trotz dieser Erkenntnisse und zunehmender Forschung bestehen noch zahlreiche Wissensdefizite. Es fehlt zum Beispiel weiterhin ein einheitlicher und allgemein anerkannter Begriff für eine problematische Nutzung digitaler Medien. Und trotz der Aufnahme im DSM-5 fehlen eine einheitliche Diagnostik sowie Erkenntnisse über wirksame Behandlung, Prävention und Frühintervention. Projekte wie "LOG OUT" tragen dazu bei, durch Erfahrung, wissenschaftliche Begleitung und Evaluation den Kenntnisstand zu erweitern. Erste Zwischenergebnisse der Evaluation weisen darauf hin, dass die Einführung des medienspezifischen Präventions- und Beratungsangebots in den beteiligten Fachstellen gelungen ist, das Präventions- und Beratungsangebot von den Zielgruppen angefragt, genutzt und als kompetent und hilfreich empfunden wird.
Prävention? Nicht nur für Jugendliche!
Der theoretisch bestehende Bedarf wurde und wird immer wieder in allen drei Bereichen (Prävention für Jugendliche, Schulung Multiplikatoren, Beratung) auch praktisch deutlich. Durch die Verbreitung von Smartphones und des mobilen Internets ist das Thema in vielen Settings aktuell und teilweise hochbrisant. So gibt es noch wenig Erfahrungswissen, auf das Lehrer oder Eltern zurückgreifen können, wenn es um Regeln im Umgang mit den digitalen Medien, insbesondere dem Smartphone, geht. Dies führt zu großen Unsicherheiten.