Martin Nowakowski (Koordinator der OGS Havixbeck).
Martin Nowakowski:
"Wie stehen Sie zur einer möglichen Einführung eines sozialen Pflichtjahres für junge Erwachsene?"
Christian Germing, Vorstand:
In der Diskussion über ein mögliches Pflichtjahr gibt es ganz unterschiedliche Argumente und Sichtweisen, aus denen heraus dieses gefordert wird. Der erste Ansatz ist die Einführung eines Pflichtdienstes im Zusammenhang mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die allgemeine Wehrpflicht wurde im Jahr 2011 nach dem Ende des Kalten Krieges und einer veränderten sicherheitspolitischen Lage ausgesetzt.
Spätestens seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine ist die sicherheitspolitische Lage neu zu bewerten.
Würde man die Wehrpflicht vor diesem Hintergrund wieder einführen, so hätte aus meiner Sicht ein sozialer Ersatzdienst eine ganz andere Berechtigung und Akzeptanz. Ich habe aber auch den Eindruck, dass die Bundeswehr eine Wiedereinführung der Wehrpflicht derzeit weder personell noch finanziell bewerkstelligen könnte.
Ein zweites, immer wieder genanntes Argument für einen sozialen Pflichtdienst ist der Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel in sozialen und pflegerischen Berufen. Da sage ich ganz klar: Arbeitskräftemangel darf kein Grund für einen Pflichtdienst sein! Wenn dies so wäre, müsste es einen Pflichtdienst auch im Handwerk, in Schulen und vielen anderen Branchen geben.
Eine dritte Argumentation sieht in einem Pflichtdienst eine Chance darin, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie zu stärken. Wir erleben aktuell in Deutschland ein schwindendes Vertrauen in den Staat und gleichzeitig eine steigende Zustimmung für extreme und verfassungsfeindliche Tendenzen, was sich nicht zuletzt in den Umfragewerten für die AfD widerspiegelt. Ich finde es daher berechtigt, über Wege zu einer Stärkung von zivilgesellschaftlichen Kräften nachzudenken. Ich halte einen verpflichtenden Dienst - und damit einen Zwang zu einem solchen Dienst - aber nicht für das richtige Instrument, um ein stärkeres gesellschaftliches Engagement zu erreichen. Ein echtes Engagement kann nicht erzwungen werden, sondern braucht Überzeugung und Motivation. Außerdem stelle ich mir die Frage, warum dann ausschließlich junge Menschen zu einem solchen Engagement verpflichtet werden sollen. Statt junge Menschen direkt nach der Schule zu einem Dienst zu verpflichten, könnte man ja auch Menschen am Ende ihres Berufslebens vor dem Eintritt in die Rente zu einem Engagement verpflichten.
Was ich überhaupt nicht verstehen kann und für kontraproduktiv halte, ist die geplante drastische Kürzung der Mittel für Freiwilligendienste im Bundeshaushalt 2024. Der Haushaltsentwurf sieht hier den Wegfall von rund 25 Prozent der Mittel vor. Ich kann nicht verstehen, wie man auf der einen Seite über einen Pflichtdienst nachdenkt - der ja auch Geld kostet - und auf der anderen Seite die bestehenden Freiwilligendienste so behandelt. Es wäre aus meiner Sicht viel sinnvoller, die bestehenden Freiwilligendienste attraktiver zu machen. Aus diesem Grund unterstütze ich auch die aktuelle Initiative der Sprecher der freiwilligen Dienste für eine Steigerung der Attraktivität von FSJ und BFD. Ich bin überzeugt, durch bessere Rahmenbedingungen lassen sich mehr junge Menschen für soziales Engagement gewinnen.