2019 wurde von der Politik und dem Landkreis festgestellt, dass das bestehende Frauenhaus keine angemessene Unterkunft mehr ist: zu wenig Platz für Frauen mit Kindern, fehlende Gemeinschaftsräume und Büros. Die Egon-Gmyrek-Stiftung stellte sich als Investor zur Verfügung. "Die Art, wie wir Gebäude errichten, soll auch ein Ausdruck sein, wie wir über die Würde des Menschen denken", so Martin Wrasmann, Stiftungsrat der Egon-Gmyrek-Stiftung.
Das Haus bietet zwölf Frauen und bis zu 18 Kindern Schutz. Neben den Zimmern der Bewohnerinnen, Gemeinschaftsküchen und einem kleinen Garten, gibt es unter anderem Beratungsräume, einen Gemeinschafts- und einen Bewegungsraum. Das neue Gebäude liegt mitten in der Stadt Gifhorn, fußläufig zu Behörden der Stadt und des Landkreises. Auch Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte können auf kurzen Wegen erreicht werden. Für die Bewohnerinnen und ihre Kinder ein idealer Ausgangsort, das Leben neu zu ordnen und auf eigenen Füßen stehen zu lernen.
Im Mai 2022 konnte der Grundstein für das neue Frauenhaus für die Stadt in der Südheide gelegt werden, Ende August 2023 wurde es nun der Nutzung übergeben. Das gesamte Gebäude steht auf einer Grundfläche von 428 qm. Von der Bruttogeschossfläche von 1228 qm werden 830 qm bewohnt. Die geplanten Kosten sowie alle Zeitpläne wurden eingehalten. Der Gifhorner Architekt Karl-Heinz Gödde sieht als einen wichtigen Faktor dieses erfolgreichen Bauprojekts, dass die rund 30 Gewerke aus der Region kommen.
Jede vierte Frau und deren Kinder von häuslicher Gewalt betroffen
Mit den ersten Plänen war allen Beteiligten auch klar: Das Thema häusliche Gewalt gehört mitten in die Gesellschaft, denn es ist weiterhin ein großes Problem: In Niedersachsen wurden im Jahr 2022 insgesamt 27.000 Fälle häuslicher Gewalt registriert, das sind 11 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Adresse des Hauses, der Knickwall 9, ist nicht anonym. Das neue Konzept sieht vor, dass man weiß, wo das Frauenhaus ist, aber nicht weiß, wo die einzelne Frau wohnt. Ein großer konzeptioneller und notwendiger Schritt in Zeiten digitaler Endgeräte, in der jede Person leicht geortet werden kann. Mit der Polizei Gifhorn wurde ein Sicherheitskonzept erarbeitet und das Haus ist mit umfangreicher Technik geschützt. Zusätzlich braucht es bei Aufnahme einer Frau ein Sicherheitsscreening und eine Einschätzung ihrer digitalen Sicherheit.
"Mit dem neuen, offenen Konzept werden Frauen ermutigt, aus der Anonymität herauszutreten, in der sie ihr Leid unter Umständen über Jahre versteckt haben. Denn Schutz bedeutet nicht das Gleiche wie sich verstecken”, sagt Schutzhausleiterin Ulla Evers. Es brauche aus Sicht der Frauenhausarbeit die bewusste Entscheidung einer Betroffenen, Strukturen für ihren Alltag selbst aufzubauen und eigene Entscheidungen zu treffen. Das neue Haus ist ein Ort gelebten Alltags unter gewaltfreien Bedingungen.
Für die Stiftung war es von Anfang an wichtig, dass besonders die Kinder in einem neuen Haus mit mehr Möglichkeiten gestärkt werden können. Eine Erzieherin begleitet die Mütter und hilft den Kindern, traumatisierte Erfahrungen zu mildern und verzögerte Entwicklung aufzuholen. Dadurch wird die Gewaltspirale bei den Kleinsten direkt unterbrochen, damit häusliche Gewalt für sie nicht zur Normalität wird.
Das Gifhorner Frauenhaus ist das einzige in Trägerschaft der Caritas im Bistum Hildesheim
Seit 1993 haben ca. 1200 Frauen mit ihren Kindern in Gifhorn Schutz gefunden. Dem Engagement der damaligen Gleichstellungsbeauftragten Ute Simonidis, der Landrätin Margarete Perzel, der Kreistagsabgeordneten Ewa Klamt und den Frauen um Annemarie Horn vom Frauenzentrum Frauen(t)räume ist es zu verdanken, dass gegen den Widerstand einiger Politiker Schutzwohnungen angemietet wurden. Christine Gehrmann, die Nachfolgerin von Ute Simonidis, hat mit Netzwerkarbeit und Aktionen gegen patriarchale Strukturen die politische Botschaft des Frauenhauses immer wieder ins Bewusstsein von Stadt und Landkreis gerufen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass im Landkreis und der Politik der Neubau auf solide Füße gestellt werden konnte. Prägend für die Frauenhausarbeit in Gifhorn war Heidemarie Golombowski, die das Haus 23 Jahre geleitet hat.