Mit dem Budget für Arbeit Fuß fassen
Eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt geht für den Menschen mit Behinderung mit hoher Selbstzufriedenheit einher. Nicht nur diese Zielgruppe profitiert von einem Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt: Auch für Arbeitgeber kann die Einstellung eines Menschen mit Behinderung mittels Budget für Arbeit (BfA) dazu führen, den aktuellen Fachkräftemangel zu kompensieren. In einer inklusiven Gesellschaft ist die Integration aller Menschen in Arbeit und Beruf ein wichtiges Ziel - so wird es auch in
Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN- BRK) postuliert. Für Menschen mit besonderen Bedürfnissen gestaltet es sich schwierig, aus den geschützten Sonderwelten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu wechseln. Es bedarf daher geeigneter beruflicher Fördermaßnahmen zur Gestaltung von selbstbestimmten und individuellen Lebensbiografien.
Das BfA wurde ab 2006 in verschiedenen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und Hamburg erfolgreich erprobt. Mit Einführung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung1 (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 wurde im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Wirkung vom 1. Januar 2018 das BfA in § 61 SGB IX als Regelleistung eingeführt.
Zusammenarbeit im Reallabor
Im Rahmen des Forschungsprojekts "BfA Gelingt - Gelingensbedingungen der Inanspruchnahme gestalten und teilen" wurde eine qualitative Studie durchgeführt. Förderzeitraum: 1. September 2020 bis 31. August 2023. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) mit Professor Joachim Thomas und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) unter Leitung der Professorin Reinhilde Stöppler. Kooperierende Praxiseinrichtungen sind das Berufsbildungswerk (BBW) der Rummelsberger Diakonie, das Heinrich-Haus Neuwied und das Josefsheim Bigge. Wolfgang Dings vom Berufsförderungswerk (BFW) Bad Wildbad übernimmt die Projektkoordination. Sozialpädagog:innen und weitere pädagogische, psychologische, therapeutische Fachkräfte sowie die wissenschaftliche Begleitung der KU und JLU kooperieren gleichberechtigt im Projekt, suchen nach Lösungen und arbeiten in einem sogenannten Reallabor.
Das BfA soll für Menschen mit Behinderung, die berechtigt sind, in einer WfbM zu arbeiten, Zugänge zum ersten Arbeitsmarkt ermöglichen.
Gemäß § 61 Abs. 2 SGB IX umfasst es im Wesentlichen zwei Leistungen. Zum einen einen Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber zum Ausgleich der Leistungsminderung des Beschäftigten und zum anderen die Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz. Der Lohnkostenzuschuss beträgt bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts, höchstens jedoch 40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 Abs. 1 SGB IV). Zwar können Bundesländer von diesem Prozentsatz nach oben abweichen und Bundesländer wie Bayern (bis zu 48 Prozent), Bremen und Rheinland-Pfalz (bis zu 60 Prozent) machen von diesem Recht auch Gebrauch. Diese Deckelung, die ein hemmender Faktor für die Wahrnehmung eines BfA-Verhältnisses sein kann, wird mit dem "Gesetz der Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts" ab 1. Januar 2024 aufgehoben.
Die Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz beinhalten auch eine Anleitung und Begleitung im ganzen BfA-Geschehen.
Das Budget für Arbeit ist keine Sackgasse. Menschen, die aus diversen Gründen nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein möchten, haben gemäß § 220 Abs. 3 SGB IX jederzeit das Recht, wieder in die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) zurückzukehren.
Wer wurde interviewt und was wurde gefragt?
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden hemmende und fördernde Faktoren analysiert, die auf die Inanspruchnahme des BfA einwirken. Zudem wurde der Frage nachgegangen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt, um die Barrieren zu überwinden.
Mit insgesamt 70 Interviewpartner:innen wurden von Juni 2021 bis Januar 2022 leitfadengestützte, halbstrukturierte Interviews zu den hemmenden und fördernden Faktoren der Inanspruchnahme des BfA durchgeführt. Die Stichprobe setzt sich aus folgenden Personengruppen zusammen:
◆ (potenziellen) Budgetnehmer:innen (N = 14);
◆ Eltern und gesetzlichen Betreuer:innen (N = 4);
◆ (potenziellen) Arbeitgeber:innen (N = 12);
◆ Expert:innen (N = 40) (Werkstattleiter:innen, anderen Leistungsanbietern, Job-Coaches, Case-Manager:innen, Interessensvertretungen, Ministerien, Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungen (EUTB), Deutscher Rentenversicherung (DRV), Bundesagentur für Arbeit (BA), Träger der Eingliederungshilfe, Kammern, Integrationsämtern).
Die hier skizzierten Resultate sind ausgewählte Ergebnisse zu den Hemm- und Förderfaktoren. Neben den sozialrechtlichen und sozialpolitischen Hemm- und Förderfaktoren ergeben sich nach Aussagen der Interviewpartner:innen auch Hemmfaktoren auf konzeptioneller Ebene.
Hemmende Faktoren
Die bundesweit uneinheitliche Ausgestaltung des Budgets für Arbeit führt zu Unklarheiten und Verwirrung. Es bestehen starke regionale Unterschiede bei den Trägern, den Zuständigkeiten sowie den Antragsverfahren. Zwar wird der leistungsberechtigte Personenkreis in § 61 in Verbindung mit § 58 SGB IX geregelt, jedoch wird diese Vorschrift in der Praxis unterschiedlich ausgelegt. Auch die rentenrechtliche Ausgestaltung des BfA führt zu Verwirrung, denn Menschen mit Behinderung können geringere Rentenanwartschaften als in einer WfbM erhalten, wenn sie mittels BfA beschäftigt sind. Mangelnde Öffentlichkeitsarbeit führt dazu, dass das BfA wenig bekannt ist und die Maßnahme als intransparent wahrgenommen wird.
Fördernde Faktoren
Insbesondere für Menschen mit Behinderung bedeutet das Budget für Arbeit eine Steigerung des Selbstbewusstseins, ermöglicht es doch, berufliche Vorstellungen zu verwirklichen sowie einen besseren Verdienst als in einer WfbM zu erzielen. Das Rückkehrrecht gibt dieser Zielgruppe ein Gefühl der Sicherheit. Nicht nur Menschen mit Behinderung berichten über den positiven Effekt dieses Rechts. Eltern, aber auch Expert:innen, die aus paternalistischen Gedanken eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt ablehnen und eine geschützte Arbeitswelt wie die WfbM bevorzugen, geben vermehrt an, dass die Rückkehroption eine Bedingung darstellt, dass eine Arbeitsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt gelingen kann. Denn Menschen mit Behinderung haben somit die Möglichkeit, sich unverbindlich beruflich auszuprobieren und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Viele der Budgetnehmer:innen beschreiben zudem die Anleitung und Begleitung als fördernd. Diese sind nicht nur hilfreich bei der Einarbeitung oder bei bürokratischen Fragestellungen, sie dienen auch der psychischen Stabilisierung. Sie können zudem Krisenintervention und Mediation ermöglichen, wenn zum Beispiel die Akzeptanz oder das Gleichgewicht zwischen weiteren Mitarbeiter:innen des Unternehmens und der:dem Budgetnehmer:in gestört sind.
Korrekturen sind nötig
Das Budget für Arbeit stellt für Menschen mit Behinderung eine wichtige Möglichkeit zur beruflichen Inklusion dar. Das BfA benötigt jedoch noch erheblich mehr Öffentlichkeitsarbeit und es braucht mehr Informationen für alle Personen, die am Prozess eines BfA-Verhältnisses beteiligt sind, damit dieser gelingen kann. Modifikationen auf sozialrechtlicher und sozialpolitischer Ebene sind erforderlich.
Anmerkung
1. Gesetz vom 23.12.2016 - BGBl. I 2016, Nr. 66 29.12.2016, S. 3234.