„Die Caritas steht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“
Frau Paus, der Festakt zum Jubiläumsjahr der Caritas, an dem Sie teilnehmen werden, steht unter dem Motto "Himmel und Erde - #DasMachenWirGemeinsam". Was fällt Ihnen spontan dazu ein?
Als die Caritas vor 125 Jahren gegründet wurde, ging es darum, die vorherrschende Not der Menschen zu lindern und Arme zu schützen und zu stärken. Dieser Grundsatz ist heute aktueller denn je: Die akuten Krisen - von der Coronapandemie über den Ukraine-Krieg, die Herausforderungen des Klimawandels bis hin zu den jetzt drastisch angestiegenen Kosten für Lebensmittel und Energie - stellen eine große gesellschaftliche Herausforderung dar. Deshalb müssen wir alles dafür tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die Caritas steht für diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und sie steht mit Sicherheit auch in Zukunft an der Seite derjenigen, die Unterstützung brauchen.
Staatliche Versorgungspflicht und Subsidiaritätsprinzip: In Deutschland delegiert der Staat die Wahrnehmung sozialer Aufgaben an die freie Wohlfahrtspflege. Wie sehen Sie dieses Spannungsfeld?
Das ist tatsächlich ein Grundprinzip unseres Sozialstaats: Was Einzelne, Familien oder Gruppen und Körperschaften von sich aus bewegen möchten, darf der Staat nicht an sich ziehen. Deshalb kommt der freien Wohlfahrtspflege eine besondere Rolle zu. Sie ist mit ihren fast zwei Millionen hauptamtlichen Mitarbeitenden und rund drei Millionen Ehrenamtlichen eine tragende Säule unseres Sozialstaats. Gerade im Zusammenwirken mit öffentlichen Trägern sorgt die freie Wohlfahrtspflege dafür, dass Hilfesuchende die für sie passende Unterstützung bekommen, und trägt so zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei.
Die Caritas und die freie Wohlfahrtspflege müssen einen Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinnützigkeit leisten. Wie kann die öffentliche Hand sie dabei unterstützen?
Die freie Wohlfahrtspflege übernimmt bundesweit einen Großteil der sozialen Arbeit. Sie ist das Gerüst unserer sozialen Infrastruktur und unterscheidet sich von gewerblichen Angeboten, die darauf angelegt sind, Gewinne zu erzielen. Das ist gerade in Krisenzeiten, in denen hilfebedürftige Menschen besonders auf niedrigschwellige Angebote angewiesen sind, eine wichtige Unterstützung. Als Bundesministerin setze ich mich daher dafür ein, dass wir die freie Wohlfahrtspflege auch aus Bundesmitteln in ihrer Arbeit unterstützen.
Öffentliche Mittel empfangen und dennoch die Eigenständigkeit behalten - wie kann das für die freie Wohlfahrtspflege gelingen?
Die Angebote und Leistungen der gemeinnützigen freien Wohlfahrtspflege müssen finanziert werden. Das können die Beiträge und Pflegesätze in Krankenhäusern, Heimen und Kindergärten oder öffentliche Zuwendungen sein. Mein Haus unterstützt insbesondere die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege durch Zuwendungen in verschiedenen Bundesförderprogrammen.
Hauptamt und Ehrenamt sind gemeinsam die Leistungserbringer im Sozialen. Wie stehen Sie zum aktuellen Mix?
Freiwillig Engagierte sind unverzichtbar, benötigen aber auch Hauptamtliche. Unsere Engagementpolitik umfasst viele Programme und Maßnahmen zur Förderung und Anerkennung von freiwilligem Engagement. Freiwillige Helferinnen und Helfer haben nicht zuletzt in der Flüchtlingshilfe 2015, bei der Flutkatastrophe 2021 und bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt, wie viel dieses Engagement leistet. Wichtig ist dafür eine gute Vernetzung vor Ort, so dass ehrenamtliche Strukturen durch staatliche Stellen Unterstützung erfahren und beide miteinander kooperieren.
Neue Engagementstrategie und Beteiligung: Wie wollen Sie die Wohlfahrtsverbände bei der Entwicklung der geplanten neuen Strategie beteiligen?
Die Nationale Engagementstrategie ist eines unserer zentralen Vorhaben in dieser Legislaturperiode. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, so dass wir hier auch neuen politischen Handlungsbedarf haben. Seien es neue Formen von Engagement, Fragen der Digitalisierung oder die Diversifizierung des gesamten Sektors - die Herausforderungen haben sich geändert und sind vielfältiger geworden. Ganz zentral für die Engagementstrategie ist dabei die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Bei dem Beteiligungsprozess werden wir genau darauf achten, dass alle wichtigen Partner aus dem Bereich des bürgerschaftlichen Engagements eingebunden werden. Dabei spielen natürlich auch die Wohlfahrtsverbände eine Rolle.
Familie und Beruf: Wie können gerade angesichts des Fachkräftemangels und der gestiegenen Erwartungen an Familien Verbesserungen erreicht werden?
Deutschland hat mittlerweile eine der höchsten Erwerbstätigenquoten von Frauen in Europa. Aber: Mehr als jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit, weil sie Kinder oder pflegebedürftige Angehörige betreut. Dabei möchten viele Frauen gern mehr arbeiten. Das wäre auch für den Arbeitsmarkt ein Gewinn und gleichzeitig die beste Armutsprävention, gerade für Alleinerziehende. Mit der Fachkräftestrategie der Bundesregierung haben wir daher unter anderem die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Zentrum gestellt. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gute Betreuungsinfrastruktur. Die Bundesregierung unterstützt darum den Ausbau der Kindertagesbetreuung seit 2008 mit insgesamt 5,4 Milliarden Euro. Aktuell läuft in diesem Rahmen das (bereits) fünfte Investitionsprogramm "Kinderbetreuungsfinanzierung", mit dem eine Milliarde Euro für zusätzliche 90.000 Kita-Plätze bereitgestellt werden. Obwohl mehr als die Hälfte der Grundschulkinder in Deutschland einen Hort oder eine Ganztagsschule besuchen, ist der Bedarf noch nicht gedeckt. Deshalb wird ab dem Schuljahr 2026/27, so sieht es das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) vor, stufenweise ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern bundesweit eingeführt.
Die Bundesregierung unterstützt Länder und Kommunen finanziell bei dem notwendigen Ausbau der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern. So stellt der Bund für den Ausbau Finanzhilfen für Investitionen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro bereit und beteiligt sich aufwachsend ab 2026 an den laufenden Kosten, ab 2030 mit 1,3 Milliarden Euro.
Wichtig sind auch ausreichend Fachkräfte in den Erzieher- und Pflegeberufen. Ohne genügend Personal in Kitas, Alten- und Pflegeheimen wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland nicht funktionieren. Mit unserer "Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung in den Erzieherberufen" und der "Ausbildungsoffensive Pflege" stärken wir die Ausbildung, schaffen Perspektiven und mehr Karrierechancen. Denn Personalmangel führt dazu, dass vor allem Frauen in ihren Jobs kürzertreten, um sich um die Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern.
Und natürlich spielen auch die Väter eine Rolle. Die meisten jungen Eltern wollen sich die Aufgaben zu Hause und in der Familie teilen und wünschen sich eine partnerschaftliche Vereinbarkeit. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, die Rahmenbedingungen hierfür weiterzuentwickeln. Ein deutliches Signal für Partnerschaftlichkeit wäre etwa eine zweiwöchige bezahlte Auszeit nach der Geburt für den Vater oder für die Partnerin der Mutter. Ich appelliere aber auch an die Arbeitgeber:innen: Eine familienbewusste Unternehmenskultur, flexible Arbeitszeitregelungen und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, sind entscheidend, damit Mütter und Väter Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können.
Höhere und faire Tariflöhne für Pflegekräfte und die Mehrkosten für Energie: Pflege wird teurer werden. Wie kann die Bundesregierung in dieser Herausforderung Pflegebedürftige entlasten, ohne die Pflegeversicherung zu überlasten?
Die Bundesregierung hat das Ziel, die Pflegeversicherung weiterzuentwickeln. Dazu gehören nach dem Koalitionsvertrag unter anderem Leistungsverbesserungen für pflegebedürftige Personen, der bedarfsgerechte Ausbau der Tages- und Nachtpflege sowie die Stärkung der Kurzzeitpflege. Auch zur Stabilisierung der Finanzen der Pflegeversicherung finden unter der Federführung des Gesundheitsministeriums intensive Vorbereitungen innerhalb der Regierung statt.
Der Bund wird auch wegen der steigenden Energiepreise, von denen Pflegeeinrichtungen besonders hart betroffen sind, handeln. Zur Unterstützung bei den Energiekosten legt der Bund daher derzeit ein Hilfsprogramm über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds auf.
Klimakrise und Energiearmut betreffen vor allem finanziell Schwache: Wie können diese aus Ihrer Sicht tatsächlich nachhaltig gestützt werden?
Die gestiegenen Lebensmittelpreise und Energiekosten bringen besonders Familien in finanzielle Bedrängnis, da sie für ihren Lebensunterhalt mehr ausgeben als Haushalte ohne Kinder. Die gegenwärtige Situation verlangt gerade einkommensschwachen Familien viel ab. Daher haben wir das Kindergeld für alle Familien auf 250 Euro pro Kind erhöht und auch den Höchstbetrag des Kinderzuschlags für Familien mit kleineren Einkommen auf 250 Euro pro Kind angehoben. Den Kinderzuschlag erhalten Eltern zusätzlich zum Kindergeld, wenn ihr Einkommen zwar für den eigenen Lebensunterhalt reicht, aber nicht oder nur knapp für den ihrer Kinder.
Der zum 1. Juli 2022 eingeführte Sofortzuschlag für Kinder von 20 Euro im Monat hilft bedürftigen Familien schon heute und kompensiert die gestiegenen Ausgaben. Durch das neue Bürgergeld wurden auch die monatlichen Regelsätze für Kinder deutlich erhöht. Diese zuverlässigen monatlichen Leistungen helfen Familien längerfristig und sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kindergrundsicherung.
Zusätzlich gab es weitere Entlastungen für private Haushalte: Reform des Wohngelds, Heizkostenzuschüsse, Einmalzahlungen für Empfänger:innen von Sozialleistungen, einen Einmalbonus zum Kindergeld, die Energiepreispauschale für Erwerbstätige und für Rentner:innen, eine Einmalzahlung für Studierende und Fachschüler:innen sowie eine weitere Erhöhung des steuerlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende auf 4.260 Euro seit diesem Jahr.