Vom Bettler bis zum Bischof
Prof. Dr. Gerhard Trabert versorgt Obachlose nicht nur medizinisch. (Foto: Andreas Reeg)
Vor dem Tod sind alle gleich - oder etwa nicht? Deutliche Zweifel äußert Prof. Dr. Gerhard Trabert, bekannter Allgemein- und Notfallmediziner aus Mainz. Bei einem Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion in Siegen berichtete er in der voll besetzten Bismarckhalle unter anderem von Trauerfeiern für verstorbene Obdachlose in Mainz, die vor der Tür einer Kapelle stattfinden mussten, weil die Miete für die Nutzung nicht bezahlt werden konnte.
Zu der Veranstaltung eingeladen hatte die Fachkonferenz Caritas des Dekanats Siegen im Rahmen der "Armutswochen" des Deutschen Caritasverbandes. Der Mediziner sowie Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie traf dabei auf Menschen, die sich in Siegen mit der Thematik befassen - darunter auch die Trauerbegleiterin Irmtrud von Plettenberg. "Ich hatte vorgestern zwei Sozialbestattungen", erzählte sie auf dem Podium. "Da hieß es: Machen Sie aber schnell. Ich habe gesagt: Das kann ich nicht." Ihr gefällt, dass Trabert den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul zitiert - mit seinem Begriff "Gleichwürdigkeit". In der Kolumbariumskirche von Siegen-Weidenau mache man keine Unterschiede, betont sie. "Wir bestatten konfessionsunabhängig vom Bettler bis zum Bischof."
Wer arm ist und womöglich wohnungslos, stirbt statistisch gesehen 8,6 Jahre früher, wenn er ein Mann ist, Frauen liegen 4,4 Jahre unter dem Mittel, berichtet Trabert. Gut ein Drittel sterbe auf der Straße, sagt er. "Nicht nur ich habe das Gefühl, dass die Coronazeit unter den Wohnungslosen viel mehr Opfer fordert als zu anderen Zeiten."
Anlass das Thema Armut, Tod und Trauer aufzugreifen war der Tod von drei von Armut betroffenen Gästen des Caritas-Mittagstisches in Siegen. "Wir erleben im Bereich der Sterbe- und Trauerbegleitung sowie bei Bestattungen immer größere Unterschiede - und immer mehr Menschen und Angehörige, die sich eine angemessene Bestattung gar nicht mehr leisten können", erklärt Siegens Dechant Karl-Hans Köhle. Wenn niemand die Kosten zahlen kann oder will, übernehmen Stadt oder Kreis die Kosten. 300 Sozialbestattungen waren es in der Stadt Siegen in drei Jahren, berichtet Andreas Kornmann, über dessen Schreibtisch die Fälle laufen. "Erschreckend viele sind das", findet Andrea Dittmann, die den Austausch auf dem Podium moderiert.
Von bewegenden Einzelschicksalen berichtet Gerhard Trabert. Etwa von dem Obdachlosen, der nach der Erstversorgung im Krankenhaus mit Urinbeutel im Rollstuhl vor die Tür gesetzt wurde. Oder dem 59-jährigen Rumänen Iwan, der bei einem islamistischen Anschlag in Madrid Frau und zwei Töchter verlor und dann in Mainz an einem Lungenkarzinom erkrankte. "Therapien für nicht-krankenversicherte Menschen sind in Deutschland einfach nicht vorgesehen", sagt Trabert. Therapiekosten von vielen Tausend Euro könne auch die Malteser Migranten Medizin in Siegen nicht stemmen, bestätigt deren ärztliche Leiterin Dr. Felizitas Hoferichter. Immerhin können sich Menschen ohne Krankenversicherung dort kostenlos behandeln lassen.
In seinem Arztmobil versorgt Prof. Dr. Gerhard Trabert die Armen nicht nur medizinisch. "Wir haben regelmäßige Gedenkveranstaltungen für wohnungslose Verstorbene in der Kirche eingeführt", sagt er. Bei den Urnengräbern werde darauf geachtet, dass Name und Lebensdaten vermerkt werden. "Das sind wir nicht nur den Verstorbenen schuldig", sagt Prof. Trabert. "Es ist ein ganz wichtiges Zeichen für die Hinterbliebenen, und das sind in vielen Fällen die Kumpels." Erleben die nämlich eine Beerdigung ohne Würde mit, wissen sie genau: So verscharren sie dereinst auch mich.