"Schließungen gehen zu Lasten der Familien"
Birgit Ackermann, Vorstand St. Josefshaus Herten Betriebs-gGmbHPrivat
Frau Ackermann, wie sieht die Situation momentan in Ihren Einrichtungen aus, gibt es schon Corona-Erkrankte, sowohl bei den Bewohnern als auch bei den Mitarbeitern?
Wir haben zurzeit drei Menschen in einer Einrichtung des St. Josefshauses, die am Coronavirus erkrankt sind - zwei Bewohner und ein Mitarbeiter.
Wie viele Menschen mit welcher Art von Behinderung betreuen Sie?
In der Behindertenhilfe begleitet das St. Josefshaus rund 1000 Menschen mit Behinderungen. Unsere Angebote umfassen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, Erwachsene und pflegebedürftige Menschen mit multiplen Behinderungen.
Wie ist derzeit Ihre Personaldecke?
Im St. Josefshaus arbeiten in der Behinderten- und Altenhilfe rund 1700 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit. Wir haben für die Krisenzeit ein Dienstplansystem eingerichtet, dass sichern soll, dass im Fall einer Quarantäne-Vorgabe möglichst wenig Mitarbeiter betroffen sind. Derzeit können wir die heimrechtlichen Vorschriften noch erfüllen.
Haben Sie noch geöffnet oder sind Sie von Schließung bedroht?
Teile der Einrichtung laufen nur noch für einen sehr eingeschränkten Nutzerkreis, wie die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. In der Altenhilfe mussten wir zwei Tagespflegen schließen. Alle Schließungen gehen derzeit zu Lasten der Familien, die wir versuchen anderweitig zu unterstützen.
Wie sind Ihre Schutzmöglichkeiten?
Wir hatten schon Anfang März im St. Josefshaus eine Arbeitsgruppe Pandemie gebildet und dann sehr aufmerksam die Situation beobachtet. Natürlich verfügten wir über einen Pandemieplan, den wir dann laufend aktualisierten. Schnell begannen wir damit Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Dabei orientierten wir uns an den Vorgaben des Robert Koch Instituts und schlossen schon vor Inkrafttreten der Verordnung unsere Schulen, unser Café, das Betriebsrestaurant, die Mehrzweckhalle und die Werkstätten. Anschließend begannen wir damit, unsere gesamte Arbeitsorganisation so umzustellen, dass wir im Falle einer Infektion die Viruszirkulation jeweils begrenzen können und es dabei schaffen, mit den vorhandenen Mitarbeitern den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Haben Sie die Möglichkeit zu isolieren?
Wir haben in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt und der Heimaufsicht auch Möglichkeiten zur Isolierung und Separierung geschaffen. Um unsere Arbeit im Kernbereich weiter abzusichern, bauten wir zusätzlich einen zentralen Personal-Pool auf, der aus Mitarbeitern besteht, die aus der Schließung der verschiedenen Bereiche freigeworden sind, um sie im Notfall in der Pflege und Betreuung einzusetzen. Wir müssen dennoch davon ausgehen, dass wir im Krisenfall noch mehr Hilfen benötigen. So haben wir die E-Mail-Adresse helfen@sankt-josefshaus.de geschaltet, mit der wir ehemalige Mitarbeiter, Zivildienstleistende, u.a. dazu aufrufen, sich für den Notfall bei uns zu melden.
Wie ist Ihre Ausstattung mit Schutzkleidung?
Alle Einrichtungen des St. Josefshauses, die nach SGB 11 und vergleichbar einzustufen sind, sind mit Schutzmaterialien ausgestattet. Die anderen Einrichtungen werden wir nach und nach mit Mund-Nasen-Schutzmasken ausrüsten. Das geschieht nach einer Prioritätenliste. Leider haben wir zurzeit noch landesweit einen Engpass bei der Ausstattung mit Schutzausrüstung. Deshalb nutzen wir wirklich alle möglichen Wege, die sich uns bieten, um unsere Bestände wieder aufzustocken und vielleicht noch zu erweitern. Grundsätzlich verfügt bei uns jedes Gebäude über eine Notfallbox, die so ausgestattet ist, dass beim Ausbruch einer Infektionskrankheit im Notfall die wesentlichen Schutzmaterialien vorhanden sind. Vom Schutzkittel über den Mundschutz bis zu verschiedenen Desinfektionsmitteln. Wir sind froh, dass diese - außer in einem Haus - noch unangetastet in den Büros stehen.
Wie reagieren die Bewohner darauf? Können Sie Kontaktsperren überhaupt durchführen?
Die Menschen im St. Josefshaus sind ein Teil unserer Gesellschaft. Wem fällt ein Kontaktverbot nicht schwer? Aber es muss sein, um die Ansteckungsrisiken zu minimieren. Wie auch anderswo, versuchen wir soziale Kontakte immer mehr über digitale Angebote sicherzustellen. So werden beispielsweise die Gottesdienste zu Palmsonntag, Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern per Video über das Intranet angeboten. Die Menschen im St. Josefshaus nutzen jetzt Skype um untereinander oder mit ihren Angehörigen zu kommunizieren. Dazu haben wir, wo notwendig, Tablets zur Verfügung gestellt. Wir müssen uns alle, und damit meine ich unsere Gesellschaft, an die notwendig gewordenen Veränderungen anpassen und die vorhandenen Chancen nutzen.
Was würde eine Schließung für die Menschen bedeuten? Was finanziell für die Einrichtung?
Die Menschen gehen bislang mit den Schließungen noch gut um, weil Sie wissen, dass es zu ihrem eigenen Schutz ist oder dem ihrer Angehörigen. Perspektivisch stellt sich die Frage, wie lange die familiären Systeme diesen Ausfall kompensieren können.
Was das alles finanziell für die Einrichtungen bedeutet, lässt sich derzeit nicht abschließend bemessen. Wir hoffen nur, dass der gesellschaftliche Beitrag, den wir aktuell leisten auch honoriert wird und wir für unser Engagement nicht noch bestraft werden.
Erhalten Sie genügend Unterstützung? Was würden Sie sich wünschen?
Mehr Schutzkleidung, Mund-Nasen-Schutz-Masken und Tests würden wir uns wünschen, die zu schnellen Ergebnissen führen. Sonst kann es sehr schnell zu Engpässen in der Begleitung und Pflege kommen. Wir wünschen uns Menschen, die Ideen haben, wie sie uns unterstützen können, weil aktuell auch Kreativität gefragt ist. Und wir wünschen uns einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der alle Menschen schützt, die Schutz brauchen.