Hier sehen Sie die Reiseroute von Marcus Weigl im Überblick ...
Die am zweitschnellsten wachsende Volkswirtschaft, eine zum Teil hoch entwickelte Technologiebranche und beeindruckende Kulturschätze auf der einen, sowie bedrückende Armut und soziale Ungerechtigkeiten auf der anderen Seite - so haben führende Caritas-Köpfe Nordindien auf ihrer Dialogreise erlebt. Wenn die Floskel "Land der Gegensätze" überhaupt irgendwo passt, dann wohl besonders für die nördlichen Bundesstaaten Indiens. In acht Tagen durch drei Bundesstaaten, von Delhi über Patna nach Kalkutta. Die 20-köpfige Gruppe aus Deutschland erfuhr, was es heißt, in einem Land mit vielfältigen Problemen auch gegen Widerstände Sozialarbeit zu leisten. Dabei standen auch Begegnungen mit hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche in Indien auf dem Programm. "Wenn wir die Welt verändern wollen, dann müssen wir einmal damit anfangen. Es bleibt ein langer Weg, aber wir gehen ihn mit Unterstützung der Caritas Deutschland", sagte William D’Souza, Erzbischof der Diözese Patna, im ärmsten Bundesstaat Indiens.
Zum dritten Mal hat Caritas international, das Hilfswerk der Deutschen Caritas, Indien als Ziel für eine Dialogreise ausgewählt. "Caritas ist weltweit. Überall, wo die katholische Kirche zu finden ist, gibt es auch Caritasarbeit. Es geht darum, voneinander zu lernen. Trotz unterschiedlichster Voraussetzungen und Möglichkeiten sind die sozialen Probleme doch überall auf der Welt ähnlich", sagte Dr. Oliver Müller, Direktor von Caritas international. Es sei fatal zu glauben, nur die indischen Partner würden vom Knowhow der deutschen Caritas profitieren. Die Teilnehmer bestätigen dies. "Manche Dinge, die für uns so wichtig erscheinen, relativieren sich angesichts der Not, mit der die Caritas in anderen Ländern konfrontiert ist." Sichtlich beeindruckt schildert Marcus Weigl, Pressesprecher der Caritas Regensburg, noch Wochen später seine Eindrücke von den Projekten, die er auf der Nordindien-Dialogreise kennenlernte.
... und hier nochmals etwas detaillierter
Kalkutta: Von Müllsammlern zu "Stadtverschönerern"
Seit 1963 existiert die Caritas in Kalkutta, einer Stadt mit 14 Millionen Einwohnern. "Seva Kendra", nennen sie den Stützpunkt der Caritas. Das heißt so viel wie "Sozialzentrum". Hier hat die langjährige Zusammenarbeit von Caritas Indien und Caritas Deutschland auch ihren Anfang genommen. Die Caritas Kalkutta war bisher vorwiegend auf dem Land tätig. Seit 2008 läuft aber ein "Community Mobilisation Projekt" (Gemeinwesen-Mobilisierungsprojekt) zur Minderung städtischer Armut in den Slums von Kalkutta. Die Caritas arbeitet mit 1600 Familien, versucht sie zu stärken, zu informieren und aufzuklären. Von "Müllsammlern" sollen sie zu "Stadtverschönerern" werden. "Die Menschen in den Slums müssen davon überzeugt sein, ihren Lebensraum in Ordnung zu bringen und zu halten", bringt Father Franklin Menezes, Diözesan-Caritasdirektor Kalkutta, den Hilfsansatz auf den Punkt. "Empowerment", also "Befähigung" oder "Bestärkung", so laute das Schlüsselwort für eine zielgerichtete und nachhaltige Hilfe. Dazu brauche es die Veränderung im Kopf, in der Mentalität und im Lebensstil. Erste Schritte seien gemacht. Kleine Erfolgserlebnisse machten allen Mut, diesen Weg weiterzugehen. "Es ist das Projekt der dort lebenden Menschen, und nicht das der Caritas. Wir unterstützen nur die Dynamik dieses Prozesses", so Franklin. Und die Menschen danken es ihm. Wenn Father Franklin die Menschen in den Slums besucht, dann scharen sie sich um ihn.
Frauen sind das starke Geschlecht
Hilfe zur Selbsthilfe. Dieser Ansatz funktioniert überall und bringt die gewünschten Erfolge. Die Menschen in den Slums spüren dann zum ersten Mal so etwas wie Selbstwertgefühl. Dieses Gefühl, gebraucht zu werden und eine sinnvolle Tätigkeit ausüben zu können, kann Grenzen sprengen. So auch in "Seemapuri", am nordöstlichen Rand von Delhi. Seit den 1970er Jahren kamen viele Migranten (meist Kastenlose) aus allen Teilen Indiens, häufig aus Bangladesch, dorthin. Ihre Hoffnung: Müllsammeln ist immer noch die bessere Alternative und auch der einfachste Einstieg, Geld zu verdienen. Die Sozialarbeiter/innen der Caritas sind dort Ansprechpartner für fast 1800 Familien. "Rag Pickers" (Lumpensammler) werden die Menschen genannt. "Sie wissen nicht um ihre Rechte, das ist das Kernproblem", sagen die Projektleiter der Caritas Delhi. Der indische Staatsapparat hält zwar grundsätzlich Sozialleistungen vor. Die Müllsammler trauen sich aber nicht, aufs Amt zu gehen und diese einzufordern. Hinzu kommen weitere Probleme: Eine immer wieder ausfallende Straßenbeleuchtung, die ungenügende Versorgung mit Trinkwasser, mangelnde Hygiene und seit einiger Zeit auch der Handel mit Drogen. Die Caritas begegnet diesen Problemen mit dem Aufbau und der Initiierung von Gruppen für Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder. Es gilt, die Menschen zu mobilisieren und zu motivieren. In Gruppen kommen sie miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch, analysieren die Situation und überlegen gemeinsam die nächsten Schritte. Die Caritas begleitet sie dabei und informiert die Menschen über ihre Rechte und Möglichkeiten. "Die Menschen in den Slums kommen auf diesem Weg selber zu konkreten Entscheidungen, wir bringen sie dann mit den staatlichen Behörden in Kontakt", so die Projektleiter. Die besten Mitstreiter sind dabei solche, die selber in den Slums groß geworden sind und sich selber aus der Situation befreien konnten. Einige von ihnen arbeiten jetzt für die einheimische Caritas. Und eines ist auch in Indien auffällig: Es sind die Frauen, die eine Gesellschaft am Laufen halten. Caritasdirektor Franklin bestätigt das: "Es ist entscheidend, die Frauen zu integrieren. Sie haben die Power in der Familie. Sie können verändern!"
Mit Netzwerken den Problemen begegnen
"Ich nehme viele Anregungen und Eindrücke für unsere Arbeit mit nach Regensburg", sagt Marcus Weigl. Besonders beeindruckend sei für ihn gewesen, mit welcher Kreativität, positiven Grundstimmung und welchem Engagement die Menschen unter schwierigsten Bedingungen in den Projekten arbeiten. Da schließen sich mit Hilfe der Caritas zum Beispiel Müllsammler zusammen. Da arbeiten Junge und Alte gemeinsam dafür, dass behinderte Kinder auf dem Land bessere Lebensbedingungen vorfinden; und sei es nur durch den Bau von Hilfsmitteln. Die Caritas engagiert sich, dass behinderte oder ausgegrenzte Kinder und Jugendliche Regelschulen besuchen können. Sie bildet Foren, wo minderjähriger Hausmädchen sich gemeinsam gegen Frühverheiratung oder menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wehren. Es werden Netzwerke geschaffen, die es ermöglichen, dass verschiedene Organisationen nicht nebeneinander her agieren, sondern mit verschiedenen Kompetenzen ineinander greifen. So gelingt zum Beispiel an manchen Orten auch effektive Drogen- und Gewaltprävention. Und junge Menschen erhalten dadurch neue Perspektiven, auch wenn sie in den Slums der Städte oder auf den Dörfern des Landes unter zum Teil katastrophalen Bedingungen leben müssen.
Caritas überzeugt durch tätige Nächstenliebe
Caritasarbeit funktioniert auch in Indien, obwohl häufig unter erschwerten Bedingungen. Nur zwei, drei Prozent der Gesamtbevölkerung sind Christen. Meist kommen die Anhänger der Kirche aus der untersten Kaste oder sind Kastenlose. Das Kastensystem tut sein Übriges, um Benachteiligte zu "beruhigen". Schließlich muss jeder seine Aufgabe in der Kaste ohne Murren erfüllen, um es im nächsten Leben besser zu haben. Umso bemerkenswerter ist es, dass in Indien fast ein Viertel aller Gesundheitseinrichtungen und 15 Prozent aller sozialen Dienste von der katholischen Kirche und ihrer Caritas getragen werden. "Die Caritas genießt hier eine hohe Akzeptanz, weil tätige Nächstenliebe in Not- und Katastrophensituationen einfach überzeugt" sagt Frederick D‘Souza, Direktor der Caritas Indien. Und er ergänzt: "Bildung ist der Schlüssel für eine gerechte Gesellschaft, die irgendwann auch ein Kastensystem aufbrechen kann."
Caritas international will Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Deshalb investiert die Caritas nicht so sehr in Materielles oder in große vorzeigbare Projekte oder Gebäude. Sie investiert viel mehr in tragfähige und sinnvolle Strukturen. "Obwohl es viel mühsamer und auch weniger spektakulär ist, in Maßnahmen zur Organisation zu investieren als etwa in Gebäude, bin ich jetzt noch überzeugter, dass das der richtige Weg ist, den sozialen Problemen überall auf der Welt nachhaltig zu begegnen", meint der Regensburger Caritas-Sprecher.
Zusatzinformation 1: Caritas in Indien
Caritas Indien, die nationale Organisation der katholischen Kirche, wurde 1962 gegründet. Das Caritas-Netzwerk besteht aus 167 diözesanen Organisationen, 14 regionalen Foren, säkulare Nichtregierungsorganisationen und etwa 35.000 Selbsthilfe-Organisationen. Die indische Caritas wirkt in 29 Bundesstaaten, in mehr als 9000 Dörfern und Städten und in 2,5 Millionen Haushalten. Das "Kerngeschäft" der Caritas bleibt die Not- und Katastrophenhilfe sowie die Entwicklungshilfe.
Zusatzinformation 2: Indien - Hochentwickeltes Entwicklungsland
44 Prozent der Einwohner haben weniger als einen US-Dollar pro Tag zur Verfügung (laut Weltbank). 46 Prozent der Kinder sind mangelernährt (laut UNICEF). 2,1 Millionen Kinder sterben jährlich vor dem fünften Lebensjahr. Täglich sterben 1000 Kinder allein an Durchfall. Auf dem Land ist Kinderarbeit an der Tagesordnung. Bauern stehen meist in Schuldknechtschaft und sind hoch verschuldet. Die weltweit am zweitstärksten wachsende Volkswirtschaft hat eine hohe Abwanderung in die Städte, eine hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu beklagen.
Zusatzinformation 3: Helfen Sie helfen!
Spendenkonto: Caritas international, IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02; BIC: BFSWDE33KRL; Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe, ehemals: Konto 202; BLZ 660 205 00, Stichwort: Indien, www.caritas-international.de