"Systemfehler Armut beseitigen"
Die Existenz von Tafeln ist ein Armutszeugnis für den Sozialstaat.© Achim Pohl
Mehr Einsatz für gesellschaftlichen Zusammenhalt fordert der neue Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW), Dr. Frank Johannes Hensel. Viele Menschen fühlten sich abgehängt mit allen unberechenbaren politischen, ökonomischen und sozialen Folgen, sagt Hensel. Es gelte, der sozialen Spaltung im Land entgegenzuwirken und Anschluss für die Abgehängten zu schaffen.
"Fehlende oder schlechte Arbeitsverhältnisse, drängende Ängste durch Armut und Krankheit und eine verbreitete soziale Isolation sind Merkmale der Ausgrenzung und Einsamkeit, gegen die der einzelne Mensch allein nicht mehr ankommt", unterstrich Hensel. Er kritisiert politisches Handeln und Unterlassen, das zur gesellschaftlichen Spaltung beitrage. Die Wohlfahrtsverbände müssten den politischen und gesellschaftlichen Fliehkräften die Stirn bieten und mit ihrer hohen fachlichen und organisatorischen Professionalität für die Zukunft möglichst vieler Menschen einstehen. Das Fundament für gesellschaftlichen Zusammenhalt werde gebildet durch Sicherheit und Vertrauen: Sicherheit, dass es gerechte und faire Chancen für alle Menschen gibt, und Vertrauen auf Hilfeleistungen bei persönlicher Not.
Der LAG-Vorsitzende verweist darauf, dass in NRW 16 Prozent der Menschen arm oder von Armut bedroht seien. Jedes fünfte Kind sei auf Sozialleistungen angewiesen, in Gelsenkirchen liege diese Quote sogar bei 40,5 Prozent. Zudem seien immer mehr Rentnerinnen und Rentner auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. "Viele Menschen bei uns im Land stehen Monat für Monat vor einem finanziellen Überlebenskampf, ausgelöst durch prekäre Beschäftigung mit Minijobs, Befristungen, Teilzeit- oder Leiharbeit", beklagt Hensel. Betroffene fühlten sich oft nutz- und wertlos, weil sie von der Politik kaum wahrgenommen und von der Gesellschaft als Verweigerer oder Versager stigmatisiert würden.
Gefahr für die Demokratie
Diese Entwicklung sei auch eine Gefahr für unsere Demokratie: "Wer das Gefühl hat, nicht teilhaben zu können an der Gesellschaft, wird sich auch von den Koalitionen etablierter Parteien wenig versprechen", warnt Hensel. Dabei habe Armut wenig mit persönlicher Schuld oder Pech zu tun, sondern sei "in hohem Maße ein Systemfehler, der menschengemacht ist und daher auch von Menschen verringert und weitgehend beseitigt werden kann".
So dürfe beispielsweise der Bildungsabschluss eines Kindes nicht weiter so deutlich vom Einkommen und Status der Eltern abhängen. Hensel plädiert für mehr gut ausgebildetes und attraktiv entlohntes Personal in Kitas und Schulen, damit mehr Kinder ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechend gefördert würden.
Die Kommunen und das Land sollten Familien- und Klimapolitik mit Sozialpolitik verbinden, fordert der Wohlfahrts-Chef. "Zugangschancen für alle Kinder und Jugendlichen zu verbessern geht, indem sie zahlreiche öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder, Theater, Vereine oder Zoos kostenlos nutzen dürfen", erklärt Hensel. Das gelte auch für den öffentlichen Nahverkehr mit Bussen und Straßenbahnen, denn die enorm eingeschränkte Mobilität sei eines der deutlichsten Kennzeichen von Armut und Ausgrenzung.
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